Halbjahreserkenntnisse und Motivationstief

So, hier bin ich endlich wieder. Ist ja doch schon wieder eine Weile her und ich habe in der Zwischenzeit tatsächlich die 6-Monatsgrenze geknackt! Ich hätte nie gedacht, dass die Zeit so schnell vergehen könnte, doch hier bin ich und habe die Hälfte meines Auslandsjahres hinter mir.

Anfang dieses Monats war ich in Serbien für mein Zwischenseminar und hatte dort viel Zeit zum reflektieren. Anlässlich dieser Reflexion dachte ich, ich schreibe 6 Dinge nieder die ich in den letzten 6 Monaten gelernt habe. Unter anderem sind das Dinge über die Welt, aber auch Dinge über mich selbst und das Leben in meiner Community.

Bevor Ich diese Dinge aufzähle will ich anmerken, dass ich vor meinem Seminar ein recht starkes Motivationstief hatte. Für 1-2 Monate hatte ich kaum noch Freude an der Arbeit und hab mich sehr alleine gefühlt, obwohl ich die ganze Zeit tolle Menschen um mich herum hatte. Ich hatte sicherlich auch etwas Heimweh. In der Zeit habe ich mich viel zurückgezogen. Jetzt nach dem Zwischenseminar bin ich mit neuer Energie zurückgekommen und es geht mir wieder viel besser! Diese Zeiten gehören dazu und sie haben meine 6 Einsichten definitiv auch stark beeinflusst. In diesem Sinne: Let’s go!

  1. Mein Zuhause ist nicht mein Zuhause.

Dazu muss ich ein wenig ausholen. Das Haus in dem ich lebe gehört den Jesuiten. Ich wohne zwar hier, aber ich habe Regeln zu befolgen, die mir vielleicht nicht immer passen. Ich habe mich damals sehr schnell hier eingelebt und wie Zuhause gefühlt, daher hat es mich umso härter getroffen, als ich mich mit bestimmten Dingen zufrieden geben musste, die mein Privatleben hier (meiner Ansicht nach) negativ beeinflussen. Eine ehemalige Volontärin hat mir dazu gesagt, dass ich mich natürlich wohl fühlen soll, aber ich bin und bleibe ein Gast hier. Das war keine schöne Einsicht, aber mittlerweile komme ich damit zurecht.

2. Ein Auslandsjahr ist nicht immer Abenteuer und Party, und das ist okay.

Vor allem in einer Stadt wie Athen habe ich mir selber total Druck gemacht, ich müsste doch die ganze Zeit etwas erleben, jedes Wochenende was Neues besichtigen und jeden Tag nach der Arbeit über die Akropolis spazieren. Immer wenn ich mal ein Wochenende zuhause verbracht oder nach der Arbeit lieber im Bett Netflix geschaut habe, habe ich mich dafür schlecht gefühlt. Dass man in einem Jahr aber auch ein ganz normales Leben führt und nicht, nur weil man in Athen ist, jeden Tag gut drauf und abenteuerlustig sein muss, musste ich erst mal realisieren. Auch da hat der Austausch auf dem Zwischenseminar sehr geholfen. Dort habe ich noch einmal besonders gemerkt, dass ich mit diesen Gefühlen nicht alleine bin. Ich denke, Teil des Problems ist hier definitiv auch die Repräsentation eines Auslandsaufenthaltes auf Social Media, mit dem ich mich stark verglichen habe.

3. Ich brauche Me-Time.

Das geht jetzt noch mal in die Richtung des Community Lebens und meiner Arbeit. Meistens arbeite ich mit Menschen, esse zu Mittag mit Menschen, verbringe meine Freizeit mit besagten Menschen und manchmal ist das einfach zu viel. Ich stelle auf jeden Fall fest, dass es auch hier für jeden unterschiedlich ist. An Stellen wo meine Mitvolontäre noch Stunden miteinander verbringen können, muss ich auch einfach mal eine Auszeit nehmen. Sei das in meinem Zimmer oder bei einem Spaziergang alleine. Dafür sollte ich mich nicht schämen. Es ist vollkommen normal und natürlich, besonders da unsere Arbeit auch emotional sehr fordernd ist. Mir diese Zeit bewusst zu nehmen und meine Bedürfnisse offen zu kommunizieren war anfangs zwar schwer, ist aber rückblickend genau das Richtige gewesen!

4. Die Welt ist unfair, und ich kann das nicht ändern.

Das klingt jetzt erst mal total offensichtlich und in der Theorie ist es das auch. Dass die Welt nicht gerecht ist, wusste ich auch schon bevor ich nach Athen gekommen bin. Aber dann tatsächlich hier zu sein, mit den Menschen, die es wirklich betrifft… das war und ist immer noch sehr hart. Ich arbeite mit Kindern, die nie die gleichen Möglichkeiten haben werden wie ich. Ich arbeite mit Menschen, denen tagtäglich das Leben schwer gemacht wird und die jeden Tag ums Überleben kämpfen. Während Erwachsene in meiner Umgebung auf eine Gehaltserhöhung oder ein Auto hinarbeiten, freuen sich die Menschen mit denen ich arbeite über ein halb kaputtes Fahrrad, als wäre es das Highlight ihres Monats, was es vermutlich sogar war. Ich könnte immer so weiter aufzählen. Die Welt ist einfach nicht fair und während ich nachhause gehen und auf andere Gedanken kommen kann, können diese Menschen nirgendwo hin. Es ist ihre Realität.

5. Bei der Arbeit mit vulnerablen Menschengruppen geht es nicht um Qualifikation.

Wie ihr ja bereits wisst, unterrichte ich hier unter anderem Englisch für Erwachsene. Am Anfang war ich deshalb total nervös und unsicher. Kann ich erwachsene Menschen unterrichten? Ich bin doch gar keine Lehrerin… bin ich dafür geeignet? In meinen ersten paar Monaten habe ich diese Unsicherheiten mit einigen Leuten auf der Arbeit geteilt. Daraufhin bekam ich eine Antwort, die meine Sicht auf die Arbeit mit geflüchteten Menschen grundlegend verändert hat. Es geht nicht darum, dass deine Schüler von dir perfektes Englisch lernen. Es geht darum, ihnen Struktur, einen safe space oder sogar ein offenes Ohr zu geben. Und so oder so werden sie was aus deinem Unterricht mitnehmen. Seit ich das realisiert habe gehe ich viel selbstbewusster und positiver durch die Projekte hier.

6. Es gibt immer Hoffnung

Ich weiß die Punkte vorher waren sehr negativlastig, aber ich will das Ganze im positiven Sinne beenden. Wenn ich eins aus der Arbeit mit geflüchteten Menschen mitnehme dann Das: es gibt immer Hoffnung. Ich frage mich nicht selten, wie diese Menschen weiter machen. Nichts wird ihnen leicht gemacht und nichts wird ihnen geschenkt. Sie sind traumatisiert, haben viel, wenn nicht sogar alles, verloren und sie machen trotzdem weiter. Ich habe einen tiefen Respekt vor diesen Menschen. Wichtig: Ich weiß wirklich nicht wie es mir an dieser Stelle gehen würde. Ich will damit auf keinen Fall die Probleme dieser Leute runter sprechen nach dem Motto „Sie haben so wenig und sind trotzdem so glücklich“. Ganz im Gegenteil. Ich will meinen Respekt und meine Bewunderung ausdrücken. Ich kann von den Leuten, mit denen ich arbeite, viel lernen.

Und damit hätten wir alle 6. Ich weiß, viele dieser Punkte waren eher negativ, aber ich musste einfach ehrlich sein. Diese Einsichten waren alle super wichtig für mich. Die Zeit hier ist ein Lernprozess und ich bin gespannt, was im kommenden halben Jahr noch auf mich zukommt. Ich hoffe, ihr bleibt weiterhin gespannt dabei:)

Lasst mir gerne ein kleines Feedback da und vergesst nicht:

bei so einem FSJ fallen jede Menge Kosten an, daher bin ich auf EURE HILFE angewiesen. Mit einem finanziellen Beitrag unterstützt ihr nicht nur mich sondern auch den Jesuit Refugee Service in Athen!

Spendenkonto:
Kontoinhaber: Jesuitenmission
IBAN: DE61 7509 0300 0005 1155 82
BIC: GENO DEF1 M05
Verwendungszweck: X38420 – JV Jahrgang2021

Veröffentlicht von mariamammann

Hey, Auf diesem Blog werde ich mein kommendes Jahr als Jesuit Volunteer in Griechenland, Athen dokumentieren, und freue mich über alle die hier dabei sind!

6 Kommentare zu „Halbjahreserkenntnisse und Motivationstief

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

%d Bloggern gefällt das: